Die Altstadtkirche Dorstens ist nicht alt. Sie ist ein Werk des Kölner Architekten Otto Bongarts und wurde 1952 durch Bischof Dr. Michael Keller geweiht. Dieser kleine Führer soll Sie auf die wichtigsten Zeugnisse, die die Zerstörung 1945 überstanden haben, hinweisen, aber auch auf Bildwerke der Nachkriegszeit.
Ausführliche Informationen zur Geschichte unserer Kirche finden Sie bereits an anderer Stelle.
Die Konzeption der heutigen Kirche (ein hoher, lichter Raum im basilikalem Stil) erschließt sich vom Portal her. Der Weg führt vom Taufbrunnen durch den Mittelgang zum Altar. Probst Westhoff betonte damit den Wegcharakter der Gemeinschaft der Kirche.
Spätromanischer Taufbrunnen
Wir beginnen unseren kleinen Rundgang im Fuße des Turms der Kirche, der Taufkapelle. Mitte des rechteckigen Raumes, der den Besucher durch das Portal empfängt ist der spätromanische Taufbrunnen. Er wurde im 13. Jahrhundert wahrscheinlich von Steinmetzen der Münsteraner Dombauhütte (1225 – 1265) gemeißelt. Der kübelförmige zylindrische Taufstein aus Baumberger Sandstein trät als Schmuck zwei Ornamentfiese, deren fein gearbeitete und dynamische Ausführung auffallend ist. Weinranken mit Reben (Bezug auf Eucharistie) gehen aus dem Maul von Panther- und Löwengesichtern hervor. Diese Tiergesichter sollten Dämonen abweisen. Auf unserem Taufbrunnen befindet sich neben den Dämonenmasken in beiden Friesen auch je ein Menschengesicht mit Spitzhut. Seit dem IV. Laterankonzil (1215) waren jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen verpflichtet, solche Hüte zu tragen. Unser Taufbrunnen ist so auch Zeugnis einer schon damals in ganz Europa verbreiteten Ausgrenzung und Dämonisierung der Juden.
Der Taufbrunnen zersprang während der Zerstörung im März 1945 in 80 Stücke und wurde bereits zur Weihe 1952 für diesen Ort neu zusammengesetzt. Seitdem finden wieder alle Taufen über dem Taufbrunnen statt.
Epitaphe aus der frühen Renaissance
Wenn Sie sich jetzt links dem Seitenschiff zuwenden, entdecken Sie zwei Epitaphe aus der frühen Renaissance. Beide sind Denksteine zweier bedeutender Dorstener Familien vor dem Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648). Beide haben Szenen aus dem Leben Johannes des Täufers zum Bildprogramm. Ein Hinweis darauf, dass über das Mittelalter hinaus unsere Kirche Johannes den Täufer zum Patron hatte.
Zwischen den Epitaphe hat eine Heiligen-Figur Aufstellung gefunden, die vordem ebenso wie die Marienstatue auf der gegenüber liegenden Seite im aufgelösten Heimatmuseum stand und mit Mitteln der parkasse Vest und der Stadt Dorsten restauriert wurde. Die Figur (Eiche um 1500) – vielleicht die Heilige Agatha – ist Werk eines unbekannten Meisters aus dem niederrheinisch-westfälischem Raum. Agatha ist – wie eine durchaus vermögende Bürgerfrau – in modischem Kleid der Zeit und aufwendigem Schmuck dargestellt – selbstbewusst und gelassen, um Ihre Wünsche wissend. Reste der Farbfassung finden sich im Gesicht und auf der Rückseite des Gewandes.
Das erste Epitaph – Grabmal des Kaufgildemeisters Heinrich Palen – zeigt die Übergabe des Täuferhauptes an die Tochter des Herodias, die es als Lohn für ihren Tanz von Herodes erpresst hatte. Die darunter stehende Inschrift spielt auf einen Konflikt zwischen Dorstener Gilden und Matthias von Westerhold an. Der war mit Heirat der einzigen Tochter des Hauses Lembeck Besitzer dieses Hauses und beanspruchte daher für sich die Hälfte der Lippebrücke mit dem Recht der Zolleinnahme. Bei dem Versuch der Gilden – an Ihrer Spitze der Kaufgildemeister Heinrich Palen – die Zolleinnehmer zu vertreiben, wurde Palen derart verletzt, dass er an den Folgen der Verwundung starb.
Das Grabmal der Familie Galen-Koel zeigt in bewegter Renaissance-Manier die Taufe Jesu durch Johannes, im Hintergrund Berge, kunstvoll gestaltete Bäume und einen Burg, vorne die Familie des Stifters.
Die große Inschrift unten lautet: Zur Ehre der ungeteilten Dreifaltigkeit und zum ewigen Andenken der Patrizierfamilie Galen hat der erlauchte und vielerfahrene Herr Heinrich Koel, Regierender Bürgermeister und Kirchenmeister dieses Gotteshaus, dies Denkmal errichtet im Jahr 1601.
Skulptur der Heiligen Agatha
Wenn Sie weiter zum Altar gehen, sehen Sie neben der Treppe zur Sakristei die Skulptur der Heiligen Agatha. Es ist eines der frühesten Werke (1949) von Tisa von der Schulenburg in Dorsten, die seit 1948 bis zu Ihrem Tod 2001 als Schwester Paula im benachbarten Ursulinenkonvent lebte. Die kleine Figur zeigt Agatha, die Märtyrerin aus Catania auf Sizilien, die während der großen Christenverfolgung durch Kaiser Decius im 3. Jahrhundert wegen ihres Bekenntnisses zu Christus hingerichtet wurde. Die sonst drastische Darstellung ihres Martyriums ist nur noch zu ihren Füßen durch das Marterwerkzeug angedeutet. Stattdessen betont die künstlerin das Tragen der Kirche. Wer für den Glauben und das Reich Gottes lebt und stirbt, trägt die Kirche. In ihrer rechten Hand trägt sie den Palmzweig als Zeichen der Märtyrerin. Die christliche Haltung Agathas ist darüber hinaus durch die kleine Mantelschließe mit dem Fischsymbol angedeutet. Die frühen Christen hatten den Fisch als Geheim- und Erkennungszeichen. Agatha trät die Züge einer Nichte Tisas. Diese hatte mit ihrer Familie nach der Hinrichtung des Vaters, Fritz Dietloff von der Schulenburg, besonders zu leiden. Fritz Dietloff von der Schulenburg wurde wegen seiner Beteiligung am Hitlerattentat am 20.07.1944 hingerichtet. So schlägt Tisa einen Spannungsbogen vom frühchristlichen Zeugnis zum Zeugnis des Widerstandes.
Kreuzweg aus Eichenholz
Ein weiteres Frühwerk Tisas in Dorsten (1950-1952) finden Sie in der Kapelle neben dem Chorraum – den Kreuzweg aus Eichenholz, welches die Künstlerin aus den Trümmern der zerstörten Häuser geborgen hatte. Sie erreichen die Kapelle durch den Altarraum oder durch die Tür neben dem Eingang zur Krypta. Das ausdrucksvolle Werk spiegelt die innere Auseinandersetzung mit dem Krieg und der NS-Zeit. Sie zeigen Soldatengesichter von KZ-Aufsehern, die Tisa auf der Flucht gesehen hatte.
Magdalenenretabel
Wenn Sie durch das rechte Seitenschiff wieder zum Ausgang gehen, wird Ihnen an der Wand ein weiteres Steinrelief auffallen, das Magdalenenretabel. Es ist der Altaraufsatz der ehemaligen Magdalenenkapelle an der Südspitze des Turms der zerstörten Kirche (1488). Die Bilder des Renaissance-Retabels zeigen in lebendiger Weise Szenen, die Maria von Magdala zugeschrieben werden (links: Jesus im Haus des Pharisäers, die Sünderin wäscht ihm mit ihren Tränen die Füße; rechts: Jesus im Haus der Maria und Martha; oben: die drei Frauen am Grab). Historisch interessant ist die detailfreudige Darstellung der Räume eines spätmittelalterlichen Hauses. Die Übersetzung der lateinischen Inschrift lautet: Zur Ehre des allmächtigen Gottes und zum Troste aller Trauernden und wahrhaften Büßenden haben die Begebenheiten, die du, christlicher Leser, auf diesen Altaren in Stein gehauen siehst, der ehrwürdige und viel gelehrte Mann Herr Johannes Palen, der Pastor der Kirche von Marl und Rektor dieser Kapelle aus tiefer Frömmigkeit darstellen lassen im Jahr 1600.
Marienfigur
Ein besonderer Schmuck der Kirche ist die Marienfigur aus Baumberger Sandstein (um 1420), die bei Ausschachtungsarbeiten um 1900, an der Feldhausener Straße als Torso ohne Kind und Arme geborgen wurde. „Trotz dieser Beschädigungen ist sie von einer hervorragenden bildhauerischen Qualität“ (K. Kösters) und stammt aus einer wahrscheinlich im Münsterland ansässigen Werkstatt, die stark vom „weichen Stil“ kölnisch-burgundischer Prägung mit seinem reichen und schwungvollen Faltenwurf beeinflusst ist. Weitere Werke der Werkstatt findet man in Nienburg, Metelen und Rheine-Bentlage. Maria ist als Königin dargestellt, deren Blick visionär ins Weite geht. Vordem stand die Figur im jetzt aufgelösten Heimatmuseum.
Spätgotische Monstranz
Unsere Kirche besitzt noch einige andere Kunstwerke, besonders die spätgotische Monstranz, ein Meisterwerk der Dorstener Goldschmiedekunst. Eine Abbildung ist mit Bildern der zerstörten Kirche im Eingangsbereich zu sehen. Wir hoffen, dass dieser Rundgang und eine stille Zeit in unserer St. Agatha-Kirche Ihnen helfen, dem näher zu kommen, der uns näher ist als wir uns selbst: dem lebendigen Gott, dessen Lob hier seit Jahrhunderten gesungen wird.
Einladung
Wenn Sie dieser Text neugierig gemacht hat, laden wir Sie herzlich zu einem persönlichen Rundgang in unsere Kirche ein. Bitte nehmen Sie sich dafür etwa 20 Minuten Zeit. Dieser Text liegt auch in gedruckter Form für Sie in unserer Kirche aus.
Unsere Kirche ist ganztägig zum Besuch freigegeben.